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30-Stunden-Woche

Weniger Work, mehr Life: 30-Stunden-Woche

Zusammenarbeit Erstellt am: 15. April 2019 6 Min.

30-Stunden-Woche wird von vielen Arbeitnehmer*innen gewünscht. Dazu haben wir Daniel Kofler vom Grazer Jungunternehmen Bike Citizens befragt, das für seine fortschrittliche Arbeitszeitregelung ausgezeichnet wurde.

Für die Generation Y, die zwischen 1980 und 2000 Geborenen, ist die Work-Life-Balance so wichtig wie vielen Generationen davor nicht. Das heißt nicht, dass es sich dabei um eine faule oder demotivierte Altersgruppe handelt - im Gegenteil. Lediglich die Prioritäten sind anders gewichtet: Verwirklichung im Job und dabei ein ausgewogenes Privatleben sind, was man anstrebt. Damit einher geht oftmals der Wunsch nach mehr Lebens- und weniger Arbeitszeit.

Andere Länder, andere Sitten #

Immer wieder werden weltweit Arbeitszeitmodelle jenseits der Normen ausprobiert. Dabei gibt es Erfolge wie auch Misserfolge zu verbuchen. Ein Negativbeispiel zeigte etwa Frankreich auf: Nach Einführung der 35-Stunden-Woche im Jahr 2000 haben sich die Personalkosten extrem erhöht, was Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs und die Arbeitslosenquote hatte. Dagegen zeigt Schweden, wie´s gehen kann: In Göteborg wagte man 2015 den Modellversuch zum sechs-Stunden-Arbeitstag bei vollen Bezügen mit dem erfreulichen Ergebnis von weniger Krankenständen, verminderten Überstunden und zufriedeneren Menschen.

Grazer Jungunternehmen als Vorbild #

Einen neuen Ansatz für Österreich bietet das junge Grazer Unternehmen Bike Citizens. Dort entwickelt man Web- und App-Technologien für Fahrräder und Fahrradfahrer mit dem auserkorenen Ziel, das Radfahren in Städten attraktiver zu machen. Seit Sommer 2014 dauert die Arbeitswoche der Bike Citizens Mitarbeiter nur noch 36 Stunden an vier Tagen – der Freitag gehört schon zum Wochenende. Im Jänner 2016 hat sich das Unternehmen beim New Work Award von Xing gegen 140 Projekte und Unternehmen durchgesetzt und wurde als Vorbild für die moderne Arbeitswelt mit dem dritten Platz prämiert.

Wir haben beim Bike Citizens CEO Daniel Kofler nachgefragt, was weniger Arbeitszeit für Mitarbeiter und Unternehmen bewirken kann.

Bike Citizens

Daniel Kofler, CEO Bike Citizens

Wie wirken sich weniger Arbeitszeit bzw. ein freier Freitag Ihrer Meinung nach auf die Mitarbeiter aus?

Daniel Kofler: Im ersten Moment sind die Menschen einmal positiv überrascht, dass das überhaupt möglich ist. Eine Weg abseits der Norm ist etwas, das vielen einfach zusagt. Es gab aber auch einige Reaktionen, die eine leichte Verunsicherung ausdrückten. Immerhin ist aber noch kein einziger Mitarbeiter zu uns gekommen, der meinte „Ich hätte doch gern die fünf-Tage-Woche zurück!“ Bei unseren internen Evaluierungen hat sich herauskristallisiert, dass die Leute unglaublich dankbar sind für den zusätzlichen freien Tag. Verändert hat sich vor allem das Bewusstsein der Menschen für ihre Freizeit und ich denke es gibt einen bewussteren Umgang mit Arbeit und Freizeit. In den vier Arbeitstagen will man halt auch was weiterbringen.

„Das drei-Tage-Wochenende soll ein neues Mindset für die Arbeit schaffen!“

Wie sind die 36 Stunden geregelt?

Daniel Kofler: Wir haben grundsätzlich eine Kernarbeitszeit von neun bis drei von Montag bis Donnerstag. Die darüber hinausgehenden Stunden können beliebig verteilt werden, auch auf den Freitag – aber wir halten schon dazu an, diese von Montag bis Donnerstag zu machen, damit der Freitag zur Gänze zum freien Wochenende gehört. Das soll eine gewisse Distanz, ein ganz anderes Mindset schaffen, mit dem man dann am Montag wieder zur Arbeit zurückkehrt.

Wie waren die Reaktionen Ihrer Mitarbeiter auf die Veränderungen?

Daniel Kofler: Wir haben die Verträge von 38,5 auf 36 Stunden und damit auch den Lohn aliquot reduziert. Darauf hat es viele positive Reaktionen gegeben, weil das den Leuten der zusätzliche Tag wert ist. Der Donnerstag ist immer ein Thema, da will jeder sein Zeug fertig bekommen, damit man frei in die nächste Woche gehen kann. Was Verfügbarkeit betrifft, funktioniert das alles sehr gut.

Bisher hat es gegen unser Konzept keinen Widerstand gegeben, aber ab und zu schon ein bisschen Unverständnis, z. B. weil wir Feiertage durch Überstunden in den Vor- oder Folgewochen ausgleichen. Wenn z. B. der Donnerstag ein Feiertag ist, dann bitten wir alle Mitarbeiter, den Freitag in der Woche davor oder danach frei zu halten, falls der aktuelle Arbeitsaufwand so groß sein sollte. Das machen wir aus dem Grund, weil wir nur ungern auf eine Drei-Tage-Woche reduzieren wollen oder können. Bei dieser Regelung hat es von einem Mitarbeiter Unverständnis gegeben, weil es schwierig war zu erklären, dass wir natürlich nicht erwarten, dass sich unsere Mitarbeiter am Feiertag Zeit dafür nehmen oder an dem Tag gratis dafür arbeiten. Im Prinzip besteht dann nur die Möglichkeit, wieder auf eine 4-Tage-Woche zu pochen, wobei die Überstunden natürlich entsprechend bezahlt werden.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Mitarbeiter nun lieber in die Arbeit gehen?

Daniel Kofler: Wir sind ein junges Unternehmen, deshalb ist das recht schwierig zu beantworten, weil sich intern so viel tut bei uns: einerseits die Mitarbeiterzusammensetzung, andererseits Organisationsstrukturen, interne Kommunikation – diese Dinge tragen dazu vermutlich wesentlich mehr bei als die Frage, ob man jetzt eine vier-Tage-Woche pflegt oder nicht. Wobei ich dazu sagen muss, dass die vier-Tage-Woche sicherlich rascher sichtbar macht, ob etwas funktioniert oder nicht.

Wie, glauben Sie, wirkt sich eine weitere Stundenreduktion auf die Mitarbeiter aus und wo verorten Sie die Grenze für ein effektives Arbeiten?

Daniel Kofler: Unser mittelfristiges Ziel ist eine 30-Stunden-Arbeitswoche – d.h. wir bewegen uns von den 36 langsam auf die 30 Stunden zu. In unserer Gesellschaft wär das für mich als Regelarbeitszeit ein gutes Ziel. Ich denke, eine weitere Stundenreduktion kann dazu beitragen, dass der schon leicht erhöhte Stresslevel, den wir jetzt Montag bis Donnerstag haben, ausgeglichen wird und so zu einer noch „smootheren“ Arbeitsgemeinschaft führt.

Meiner Meinung nach gibt es keine Grenze für effektives Arbeiten, solange jedes Mitglied der Organisation sich klar darüber ist, welche Resultate man liefern will und soll und welche Ziele die Gesamtorganisation erreichen will. Dann ist die Wochenarbeitszeit eigentlich nachrangig bzw. ist sie das Fundament und die Ausgangslage, von der aus jeder Mitarbeiter einschätzen kann, was er umsetzen möchte. De facto ist es aber so wie in jedem Betrieb: Wenn gewisse Resultate geliefert werden sollen, muss man in manchen Wochen mehr anpacken und hat auch Sprints. Darum ist es besonders wichtig, Ziele zu definieren und einen Kapazitätsplan zu haben, der auf diese 30 Stunden ausgelegt ist. Unterm Strich macht es genau diese Abwechslung zwischen den 30 Stunden und den Sprints aus, dass es immer spannend bleibt.

„Am Vormittag soll man von niemandem gestört werden!“

Stiller Vormittag: Wie kann man sich das vorstellen und wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Daniel Kofler: Die Leute kommen zwischen 7 und 9 Uhr am Vormittag ins Büro und da ist es für einige ungewohnt ruhig, im Vergleich zu dem, was sie vorher gewohnt waren an der Uni oder im Großraumbüro. Man kann sich das so vorstellen, dass der Vormittag - besonders im Sales - als Kernzeit da ist, in der die Einzelarbeiten getätigt werden können: Telefonate, E-Mails, Kundenkontakte pflegen – das alles kann da in Ruhe erledigt werden. Auf strategischer Seite ergibt sich da die Möglichkeit, dass man ungestörte ein bis zwei Stunden arbeiten kann. Bei der Komplexität, in der wir heute leben ist das einfach notwendig, um das große Ganze zu verstehen. Da spreche ich nicht nur vom Softwareentwicklungsbereich, sondern auch von Geschäftsentwicklung und Finanzplanung. Vor allem wenn es um neue Strukturen geht, braucht es solche Rahmenbedingungen. Ich habe das so vorher noch nie erlebt, dass man für eine bestimmte Zeit von niemandem gestört wird.

„Ein Gehalt, das Mitarbeiter selbst festlegen.“

Gibt es außerdem noch Anregungen von Ihren Mitarbeitern bzw. weitere Pläne, sich zu verändern?

Daniel Kofler: Wie schon erwähnt, die 30-Stunden-Woche ist sehr interessant für uns. Außerdem möchte ich weiter Dinge ausprobieren. Total wichtig ist, dass wir die Möglichkeit haben, Dinge auszutesten und es gibt sicher noch einiges, das wir übernommen haben, weil es halt jeder so macht. Das möchte ich noch kritisch hinterfragen: Ist das so, wie wir es haben wollen? Bringt uns das Zielen näher? Wenn nein, was wäre die Alternative dazu?

Vor kurzem bin ich über ein Unternehmen gestolpert, in dem die Mitarbeiter ihr Gehalt selbst festlegen. Das finde ich hochspannend – da sehe ich viel Konfliktpotenzial, aber auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung und vor allem den Blick für das große Ganze. Ob das bei uns einmal spruchreif wird, werden die nächsten Monate zeigen.

Eine weitere Veränderung, die bei uns noch ansteht, ist die Aufteilung von Verantwortung auf mehrere Schultern. Wir haben momentan zehn Stellen ausgeschrieben, von Vertrieb über Software- und Webentwicklung bis hin zu einem Chefredakteur. Was für mich dabei sehr wichtig ist, ist dass wir in den Einstellungsgesprächen recht früh drei bis fünf Mitarbeiter miteinbeziehen, die mit den Leuten zusammenarbeiten sollen, und um ihre Meinung zu den Bewerben befragt werden. So ein großes Gremium ist für Bewerber natürlich herausfordernd. In den letzten Wochen hat sich aber gezeigt, dass es einen sehr wichtigen Output haben kann, da die Mitarbeiter schon im Vorfeld wissen, wer da kommt, warum der kommt und welche Aufgaben die Person übernehmen soll und sie diese Entscheidung mittragen.

Zur Person #

Daniel Kofler hat Physik und Umweltsystemwissenschaften studiert und arbeitete u.a. drei Jahre als Fahrradkurier. Seine Leidenschaft zum Fahrradfahren führte zur Gründung der BikeCityGuide Apps GmbH gemeinsam mit Andreas Stückl. Das junge Unternehmen beschäftigt mehr als 20 Mitarbeiter, entwickelt eigene Produkte und bietet urbanen Radfahrern eine Plattform für Information und Austausch. Für Städte, Unternehmen und Organisationen entwickelt man Softwarelösungen sowie Kommunikations- und Marketingkonzepte zur Förderung des Radverkehrs. Dafür wurde etwa eine Navigations-App fürs Radfahren entwickelt, die mittlerweile in über 300 Städten verfügbar ist.

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